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Weshalb neigt unser Gehirn zum „katastrophieren“?

# Brigitte Thoma

 

 

Unsere Gedanken nach einem guten Tag …

Der Tag war einfach richtig gut. Frühsommerliche Temperaturen mit blauem Himmel.

Kein langer Stau zur Arbeit. Eine erfolgreiche Präsentation für eine Messevorbereitung.

Ein konstruktives Meeting. Zwischendrin eine genehmigte Urlaubsplanung.

Ein auspowerndes Tennismatch an der frischen Luft. Und, last but not least, eine herrliche Abendessen-Einladung mit schön gedecktem Kerzentisch.

Ein richtig schöner Tag. Doch was sind oft die ersten Gedanken danach?

Hätte ich an der Präsentation etwas besser machen können?
Hätte ich im Meeting mehr über die neuen Projekte sprechen sollen?
Wie soll ich vor meinem Urlaub die ganze To-do-Liste schaffen?
Wieso war ich beim Tennis im zweiten Satz so unkonzentriert?
Und um meine Kondition beim Sport steht es einfach viel zu schlecht!
Das Essen war schön, aber die Pasta hätte mehr Gewürze vertragen ...

Wieso haben wir oft solche negativen Gedanken, anstatt uns zu freuen?
Wieso sind unsere Gedanken richtig geübt in der Negativ-Analyse?

Die Antwort liegt in der Steinzeit. Die Ausrichtung auf negative Gedanken ist

ein evolutionäres Verhalten, welches unser Überleben sichert.

Also eine natürliche Neigung des Gehirns, sich nonstop auf Katastrophen einzustellen.

Unsere Vorfahren mussten Feinde rechtzeitig erkennen und Gefahren antizipieren.

Hätten die Steinzeitmenschen  in jener Zeit  ihren Fokus auf die Blume am Rande

des Weges, anstatt auf den Säbelzahntiger gerichtet, hätte der Mensch als Art nicht überlebt.

So entstand vor zehntausenden Jahren die Konzentration des Gehirns darauf,
was schieflaufen kann und nicht auf das, was gelingt. Dieses Erbe aus der Vorzeit - das

auf Gefahren programmierte Gehirn, besitzen wir auch heute noch. Martin Seligmann,

Pionier der Positiven Psychologie, bezeichnet es als „katastrophisches Gehirn“.

Wir neigen zum „katastrophieren“, machen uns oft zu viele Sorgen und haben die Tendenz

zur Mutlosigkeit und zum Pessimismus. Negatives nehmen wir stärker wahr und behalten

es viel länger in Erinnerung als positiv Erlebtes. So verfallen wir heute leicht in negative

Denkmuster, eine Tendenz, die in herausfordernden Zeiten noch verstärkt wird.


Wir können auch unseren Blick auf die guten Nachrichten richten:

Die Vormachtstellung des Negativen kann gebrochen werden mit dem Aufbau einer

positiven Grundeinstellung und dem Aufbau des Denkens an Dinge, die gut gelaufen sind.

Hier setzt die wissenschaftlich fundierte Positive Psychologie an. Diese ist nicht zu verwechseln

mit esoterischen Richtungen der „Pop-Psychologie“ oder einer „Alles-gut-Mentalität“, worin

das Schönreden im Vordergrund steht und Negatives oft ignoriert wird.

 

In der Positiven Psychologie geht es um das Stärken von jenen positiven Aspekten,

die bereits da sind, ohne dabei zu ignorieren, dass zu einem gesunden Leben auch negative

Erfahrungen und Emotionen gehören, die zu bewältigen sind. Das Positive können wir nur

genießen, wenn wir auch das Negative kennen.

Positive Emotionen wie Freude, Dankbarkeit, Zufriedenheit, Interesse und Hoffnung

haben die Macht, das Leben positiv zu verändern und so Hürden und Herausforderungen

besser zu bewältigen.

Und weitere gute Nachrichten:

Eine positive Grundhaltung ist erlernbar. Es geht darum, Techniken zu trainieren,

die stetig gute Gefühle hervorrufen. Da positive Gefühle weniger stark wirken als negative,

ist die Quantität positiver Gefühle ausschlaggebend, um gegen die Übermacht der negativen

Gefühle anzukommen. Für die tägliche Dosis an positiven Emotionen ist es sinnvoll,

mindestens dreimal mehr positive als negative Gefühle zu haben, um merklich zu einer

Verbesserung der positiven Grundhaltung beizutragen.

(= der „Positive Quotient“, das Idealverhältnis aus Positivität und Negativität)

Laut Univ.-Prof. Dr. med. Tobias Esch, schätzt das Max-Planck-Institut für Kognitions- und

Neurowissenschaften die genetische Anlage für „Glück“ auf circa 50 %. Esch schätzt weiter,

dass die zweite Hälfte zu circa 10%, den äußeren Umständen geschuldet ist, jedoch 40 % beeinflussbar ist.

Wir haben es also teilweise selbst in der Hand: Um die circa 40% unserer Anlagen zum Glück zu

beeinflussen, können wir eine positive Grundhaltung erlernen und trainieren durch die Summe

unserer täglichen Gedanken, Gefühle und Handlungen.

Unsere biologische Hardware unterstützt uns dabei mit Neuroplastizität:
Das Gehirn besitzt die Fähigkeit, sich aufgrund von Erfahrungen neu zu formen und zu verändern,

sowohl in seiner Struktur als auch in seiner Funktionsweise und in jedem Alter.

Die flexible Anpassung des Gehirns an unsere Lebensverhältnisse ist ein Vorgang des

„lebenslangen Lernens“. Dies bedeutet zwar intensive Übung und Herausforderung, der Weg

des Erarbeitens und Bewältigens führt jedoch zu einer inneren Belohnung: direktes Glück!

Anleitung bei automatischen negativen Gedanken:
Um nicht in die Autopilot-Falle negativer Gedanken zu geraten in stressigen Zeiten,

sollten wir sofort aktiv versuchen, uns selbst auf die Spur zu bringen, die Dinge positiv zu sehen

und positiv zu denken - und sich die Frage stellen: Was ist der positive Aspekt der Situation?


*Esch, Tobias (2012) / Die Neurobiologie des Glucks. Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert, S. 144 ff / Thieme Verlag, Stuttgart